Zeitzeugengespräch zur Sonderausstellung „Der Warschauer Aufstand 1944”

Im Rahmen der Sonderausstellung „Der Warschauer Aufstand 1944“ fand am 8. Dezember 2017 ein besonderer Projekttag für Schüler unserer Schule, des Runge-Gymnasiums Wolgast und des Lyceum Świnoujście statt.
Die Ausstellung dokumentiert den 63 Tage dauernden Aufstand der polnischen Heimatarmee gegen die deutsche Besatzung im Sommer 1944, die Ermordung der Kämpfer und Zivilbevölkerung und die fast vollständige Zerstörung der Stadt.
Die Ausstellung thematisiert auch die Erinnerung an die Verbrechen und die Zerstörung in Polen bis hin zur heutigen und künftigen Entwicklung der Stadt Warschau.

Nach dem Besuch der Ausstellung erwartete uns im großen Kinosaal des Historisch-Technischen Museums Peenemünde ein öffentliches Publikumsgespräch mit dem Zeitzeugen Bogdan Bartnikowski.

Eindrucksvoll berichtete er über sein Schicksal:

Er erlebte im Sommer 1944 als 12jähriger den Aufstand. Im August 1944 wurden er und seine Mutter im KZ Auschwitz-Birkenau inhaftiert. Hier war Bogdan Bartnikowski Zeuge des Völkermordes und des geradezu unvorstellbar erniedrigenden und brutalen Umgangs der Lagerverwaltung mit den Kindern. Nach der Befreiung des KZ im Januar 1945 verlegte man ihn nach Blankenburg, wo er gezwungen wurde, in Berlin bei der Beseitigung der Trümmer zu helfen. Nach seiner Rückkehr nach Polen wurde er an der Stefan Batory Staats- und Sekundarschule ausgebildet. 1952 begann Bogdan Bartnikowski sein Studium an der Offiziersschule (Fliegerschule) in Dęblin. Bis 1968 diente er als Berufsoffizier und Pilot.
Außerdem schrieb Bogdan Bartnikowski 23 Bücher, Romane und Kurzgeschichten. 1969 veröffentlichte er das Buch „Dzieciństwo w pasiakach“ („Eine Kindheit hinterm Stacheldraht“), in dem er über seine Zeit in Auschwitz berichtet. Es wurde mehrfach herausgegeben und auch ins Deutsche übersetzt.

Hier ein kleiner Ausschnitt „Begegnung mit der Mutter“

Man kann sich nirgendwo unterstellen und ich bin schon lange durchgeweicht und zittere vor Kälte. Aber man darf nicht in den Block gehen, man muss auf dem Platz ausharren. Mit eingezogenen Köpfen, eng in Grüppchen zusammengepfercht warten wir auf die Dämmerung, den Appell, träumen von dem Augenblick, wenn wir uns endlich auf die nassen Pritschen legen können – durch das Dach des Blocks tropft es wie durch ein Sieb. »Bogdan! Ich habe deine Mutter gesehen!« – flüstert Jurek, der sich neben mich hinhockt. Er keucht schwer, als sei er vor kurzem von woanders her angerannt gekommen. »Meine?! Wo?!« »Sie arbeitet in „B“, nebenan, auf der anderen Seite des Drahtzauns! Lauf hin, dann siehst du sie. Es ist eine ganze Gruppe, hinter dem Zaun, beim Waschraum, weißt du. Angeblich sollen sie jeden Tag dahingehen…« Ich höre nicht weiter zu, springe auf, laufe und halte endlich an der Wand des Blocks an. Da sind sie! Hinter den Drähten steht eine Gruppe Frauen, sie rufen durch den Drahtzaun ein paar Jungen aus unserem Block, die vor mir hierher gelaufen sind, etwas zu. Die Mütter, unsere Mütter… Ich suche mit den Augen, gucke… Wir sind einander sehr nahe. Höchstens zehn Schritte trennen die Drähte von der Wand des Blocks. Aber einen Schritt vor dem Zaun ist noch ein dünner Draht gespannt. Der Schritt über diesen Draht ist teuer, er kostet das Leben, sogar dann, wenn im Stacheldraht des Zauns kein Strom fließt. Denn vom weit entfernten Wachturm aus betrachtet uns aufmerksam ein SS Mann. Und er kann schießen. Und er trifft sicher. Es fällt ein leichter Nieselregen und aus dem Schornstein des über den Baracken sichtbaren Krematoriums schwankt eine Feuerflamme wie ein Federbusch. Und plötzlich… Nein… Wer ist das? Ich blicke hin, sehe mit Mühe, denn meine Augen sind getrübt von einem Nebel der Rührung, der Trauer – ja, das ist sie, Mama, meine Mama!“

Frau Juretzko