Feind oder Freund?

von Nick Lüder und Angelique Schumacher aus der Klasse 9 der Heinrich-Heine-Schule Karlshagen und Ilse Behl

Nun trafen wir uns schon so oft. Wir kennen uns in und auswendig. Zusammen sind wir die besten Freunde, die es gibt. Jedoch sagte mein Vater zu mir, dass er mir gestern gefolgt sei. Heute abend hat er mich vor meinem besten Freund gewarnt. Er dachte, er entführt mich und frisst mich auf. Ich verstand nicht, was er damit meinte, denn wir kennen uns schon, seit ich ein kleines Lämmchen war. Unsere Eltern haben sich nie verstanden. Die vorherigen Generationen verfolgten uns immer, und wir rannten nur weg. Aber weil wir nah nebeneinander wohnen – nur durch einen Zaun getrennt – haben wir immer Zeit miteinander verbracht. Als mein Vater uns einmal überraschte verbot er mir den Kontakt. Jedoch redeten mein Freund, der Wolf, und ich das Schaf, am Abend noch miteinander. Wir planten, uns am nächsten Tag zu treffen.
Wir trafen uns an der Zaunecke. Meine Familie schlief noch und bemerkte nicht, wie ich davon schlich. Der Wolf sagte zu mir, ich solle über den Zaun klettern. Doch für ein Schaf ist das Klettern unmöglich. Er überlegte, und begann dann, auf der anderen Seite ein Loch zu graben. Nach einiger Zeit begriff  ich, warum er das tat. Als das Loch groß genug war, konnte ich mühelos hindurch kriechen. Das erste Mal standen wir uns richtig gegenüber. Ich hatte ein schlechtes Gefühl, ging jedoch mit ihm mit in den Wald.
Es war schattig, aber ich fühlte mich frei. Der Wolf sagteversprach mir, mich in ein Paradies zu bringen. Das machte mich neugierig und ich lief weiter mit ihm mit. Nach langer Zeit sah ich die Sonne am Ende des Waldes strahlen. Er meinte, wir seien gleich da. Ich freute mich und rannte so schnell wie noch nie. Jedoch stolperte ich fiel hin und blutete nun am Knie. Der Wolf bemerkte meine Wunde. Er schloss meine Verletzung mit Heilblättern und band sie mit Gräsern zu. Hinter dem Wald, sah ich eine wunderschöne grün sprießende Wiese. Ich humpelte dorthin und machte es mir gemütlich. Mein Freund setzte sich zu mir und entwarf  seinen Plan für den nächsten Tag. Er plante mit mir einen abenteuerlichen Ausflug.

In dem Moment, als ich da im Gras lagerte mit meinem Freund zur Seite, flackerte noch einmal meine Sorge auf: Konnte ich meinem Freund trauen? Wirklich und wahrhaftig? Wer wusste mehr von mir, mein Vater oder mein Freund, mit dem ich nun zum ersten Mal etwas unternehmen sollte, der nicht einmal gierig nach meinem Blut schien? Was hatte man sich in unserer Herde alles zugeflüstert? Warum gab es überhaupt diesen Zaun zwischen uns? „Ihr dummen Schafe,“ hatte der Schäfer einmal erzählt, „so lange es Wölfe gibt, sind diese Kreaturen schon auf Schafsblut aus gewesen. Deshalb haben sie über tausend Kilometer Wegstrecke hinter sich gebracht – von Sibirien bis nach Westeuropa -, weil es in ihrer Überlieferung die Geschichten gibt vom leckeren und vor allem gesunden Schaffleisch. Wenn nämlich ein Tier ihrer Sorte auch noch so satt gefressen ist von irgendeinem Zeug, das ist alles gar nichts gegen Schaffleisch. Am besten schmecken die Lämmer. Ist ein Wolf alt geworden, dann bekommt er genau wie Hunde oder Katzen oder sogar die Menschen Schmerzen in den Gelenken. Er kann nicht mehr jagen, er kann nicht mehr schlafen, er kann sich nur noch ins Gebüsch verkriechen, um zu sterben. Aber das Sterben durch den Knochenweichtod dauert ewig lange. Man kann als Wolf nur daliegen und heulen. Das könnte ja auch für Schafe gelten. Ich weiß es nicht so ganz genau. Weil ich dich so gut leiden mag und du immer so treu aussiehst mit deinen glänzenden Augen und warm eingepackt bist in dicke Wolle, möchte ich dir jetzt meinen Plan erläutern: Zuerst das Gerücht. Es gibt Märchen und Sagen vom Paradies. Ganz fromme Personen behaupten, das Paradies erlebt man erst, wenn man tot ist. Andere, wirklich weise Wissenschaftler unter uns, die sogar die Sprache der Menschen verstehen, haben von acht Weltwundern erzählt. In Wirklichkeit soll es auch ein neuntes Wunder geben, das Wunderkraut. Das können nur zwei wirklich gute Freunde finden oben in den Bergen. Mein Plan geht so: Am Klettern soll es nicht liegen. Wir sind beide gut darin, glaube ich. Wenn deine Wunde heil ist, lass uns losziehen, bis wir das Kraut gefunden haben. Dafür hast du bestimmt einen siebten Sinn, stimmt’s? Du reißt es dann ab und kaust es vor. Weil Wölfe nur in der größten Not Kräuter fressen -zum Beispiel bei Gewitter, muss ich mich bestimmt ein bisschen überwinden. Aber ich würde alles dafür tun, um im Alter fit zu bleiben!“
Ich rieb mir den Knöchel, das Blatt begann schon zu welken. „Ahnung von Kräutern scheint der Wolf zu haben, alles, was Recht ist“, dachte ich.

Da es schon begann schummrig zu werden, beschlossen wir, uns auf dieser Wiese einen Platz zu suchen, an dem wir gut schlafen könnten. Wir schliefen tief und fest.
In meinem Traum erschien mein Vater, der immer wiederholte: „Sei gewarnt, der Wolf ist böse und er will dich nur fressen“. Das machte mir am nächsten morgen Angst, doch ich beschloss auf mein Herz zu hören, also gingen wir weiter auf unser großes Abenteuer. Der Wolf hatte von seinem Großvater eine Karte geerbt, die uns zu dem Wunderkraut führen sollte. Wir liefen und liefen, machten Pause und liefen weiter. Der Wolf  hatte jedoch noch nichts gefressen seit wir unser Abenteuer gestartet hatten. Er fing an zu jammern, er habe so großen Hunger. Ich hörte seinen Magen knurren, mir fiel mein Traum wieder ein: „Sei gewarnt“ …!
Nichts ahnend lief ich ein Stück voraus, da ein Stückchen Gras, dort ein Happen Haferstroh, für mich war es wie ein Schlaraffenland. Doch plötzlich spürte ich heißen Atem hinter mir, Schniefen und Schnaufen. Ich drehte mich erschrocken um: ich erblickte meinen Freund, den Wolf. Er war nicht mehr zu erkennen, diese großen blutrünstigen Augen, die tropfenden Zähne. Die Angst wurde immer größer. Hatte Vater doch recht? Ich schrie den Wolf an: Bitte nicht Wolf, ich bin es doch, dein bester Freund. Bitte komm zur Besinnung. Der Wolf schüttelte sich,  und wurde wieder zu meinem besten Freund, es tat ihm Leid, aber sein Hunger war so groß.
Da hatte ich eine Idee: „Mein  großer pelziger Freund braucht Fleisch, also soll er welches bekommen“dachte ich. In unserem Stall, auf der Wiese und selbst beim Schäfer in der Wohnung waren immer etliche Mäuse. Mäuse bedeuteten Fleisch, also erzählte ich dem Wolf, dass wir auf Mäusejagd gehen wollten. Ich stampfte mit den Hufen vor einem Mauseloch auf. Sobald sie erschrocken rausliefen, konnte mein Freund sie schnappen und fressen. Wir hatten so viel Spaß dabei. Und das gute war, mein Freund war satt. So vollgefressen war er noch nie, meinte er. Das machen wir öfters.
Wir liefen weiter an dem Tag bis wir den Berg sehen konnten, auf dem das Wunderkraut wachsen soll. Das wird bestimmt ein schwieriger Aufstieg bis zum Gipfel, aber wir Freunde schaffen das.

Manchmal muss auch ein Schaf die Führung bei einer Wanderung übernehmen. Glücklicher Weise hatte ich niemals richtigen Hunger – im Unterschied zum Wolf. So ging es mir gut. Vor allem war ich stolz auf mich, dass ich auf die Idee mit den Mäusen gekommen war. Nun geschah aber etwas ganz Verrücktes. Während der Wolf hinter mir immer langsamer wurde, lief ich eifrig voran. Dieses Abenteuer gefiel mir immer besser, vor allem brauche in den Stock meines Hirten nicht zu fürchten. Außerdem: eigene Ideen machen doch den größten Spaß. Die Welt kommt einem farbiger vor. Man lernt viele neue Sachen kennen. Wieder einmal drehte ich mich nach dem Wolf um. Langsam bog er um die letzte Kurve auf einer ziemlich steilen Anhöhe. Jetzt blieb er stehen. Er reckte den Kopf, als wollte er etwas sagen, aber es kam nur ein klägliches Geheul aus seinem Maul. Das tat mir Leid. Aber dass er dort allmählich in sich zusammensinken musste so kurz vor dem Ziel, ging über meinen Verstand. Müde genug machte ich mich auf, um mich um ihn zu kümmern. Nur: Konnte die Sache mit dem Schwächeanfall auch eine Finte sein? Fragte ich mich.
Je näher ich kam, desto lauter wurde sein Wehklagen. Er sagte mir, er habe auf seine alten Tage solche Schmerzen; die Knochen täten so weh. Dass er es bis hier geschafft hätte, grenze an ein Wunder, sagte  er stöhnend.
Da fiel mir wieder das Wunderkraut ein, ein Heilmmittel gegen die ach so gemeine Knochenweiche. Ich machte einen Sprung, lief los, suchte hier, suchte dort, überall nichts zu finden. Vor lauter Erschöpfung sank ich auf den Boden und legte meinen Kopf nieder auf die steinige Erde. Ab und zu blinzelte ich ins Licht.
Auf einmal entdeckte ich es. Zwischen den vielen kleinen Steinen, sah ich das kleine Pflänzchen, es leuchtete in allen Farben, es konnte nur das Wunderkraut sein. Trotz meiner Müdigkeit sprang ich auf und rannte sofort dort hin. Ich biss es mit meinen kleinen Zähnchen vorsichtig über der Erde ab, um die Wurzeln nicht zu schädigen, es soll ja schließlich wieder wachsen.
Sofort rannte ich zum Wolf, der, vor Schmerzen heulend immer noch an der gleichen Stelle lag. Mit vollem Mund überbrachte ich ihm die gute Nachricht.  Er verstand kein einziges Wort. Doch als ich ihm zeigte, er solle sein Maul aufmachen, verstand er es. Ich drückte ihm das vorgekaute Wunderkraut in sein Maul und er schluckte es widerwillig hinunter.
Von Minute zu Minute ging es ihm besser. Die Schmerzen ließen zusehends nach. Ich war so erschöpft, dass ich auf der Stelle niederfiel und einschlief, ruhigen Gewissens: meinem Freund wird es ab jetzt wieder besser gehen.
Nach ein paar Stunden wachte ich auf. Mein Freund, der Wolf, lächelte mir entgegen. Wie hatte er gesagt: „Nur die besten Freunde können das Wunderkraut finden.“
Um eines machte ich mir noch Sorgen. Was würde meine Familie sagen, meine ganze Herde??? Der Wolf und ich machten uns langsam wieder auf den Heimweg. Langsam und ohne viel zu reden. Manchmal entschlüpfte mir ein „mäh“.
Als wir wieder zu dem Waldrand kamen, sahen wir unsere beiden Familien zusammen. Wir wunderten und fürchteten uns auch, aber wir beschlossen gemeinsam zu ihnen zu gehen. Sie waren erleichert, uns endlich zu finden, sie hatten uns gemeinsam gesucht. In der Zeit,  in der wir verschwunden waren, beschlossen die Familien sich zusammenzuschließen irgendwie.
Sie haben alle Vorurteile und Ängste beiseite geschoben, nur um uns zu finden. Sie haben sich kennen gelernt und sind jetzt gute Freunde. Wir unterhielten uns noch den ganzen Abend über unser Abenteuer.
Am nächsten Tag planten wir gemeinsam einen Ausflug auf den Berg der Kräuter.